Perihan Savaş

Star Schauspielerin, Istanbul

Perihan Savaş erhält den Ehrenpreis des Festivals für ihre schauspielerische Leistung im türkischen Film von den 70er Jahren bis heute, mit der sie für türkische Schauspielerinnen und Schauspieler das Fenster zum internationalen Kino öffnete. Mit ihrer Schauspielkunst und ihrem Schauspielverständnis hat sie verschiedenste Frauencharaktere brillant geprägt - in einem breiten Spektrum, von der namenlosen Frau aus einem anatolischen Dorf, über die Arbeiterin in der Stadt, bis hin zur selbstbewussten Frau in Komödien. Mit ihren Rollen schöpften viele Frauen Mut und Willenskraft für Veränderungen. Stets war sie das Vorbild für breite Schichten in der türkischen Gesellschaft, in der die Emanzipation der Frauen auch weiterhin einen schmerzhaften Prozess durchläuft.

Frau Savaş wird den Ehrenpreis am 19.3. bei der Preisverleihung entgegennehmen.


 

Die 60er Jahre waren auch für die Türkei eine Zeit des Wandels, wie in vielen Ländern der Welt. In diesen Jahren, als die Jugend auf die Straße ging und große Massen sich für Kunst, Kultur und gesellschaftliche Entwicklungen interessierten, freuten sich die Theaterbühnen Istanbuls über volle Säle. Die Kunst beeinflusste sowohl die Akteure als auch das Publikum nachhalting. Theatersäle verwandelten sich in die Bildungsplattformen der Bürger. Damals zog eine Kinderschauspielerin, die sehr schnell große Beliebtheit erfuhr, die Aufmerksamkeit der Massen auf sich., Sie konnte die Anweisungen der Regisseure sehr schnell erfassen und verinnerlichen und auf die Bühne bringen. Im Gegensatz zu ihren Altersgenossen war die Bühne für sie ein großer Spielplatz. Sie sollte bald das türkische Kino prägen.

Al Pacino verglich einmal das Theater mit dem Kino und sagte: „In beiden wandert man auf einem Drahtseil, aber im Kino liegt das Seil auf dem Boden“.  Perihan Savaş gehört zu den wenigen Schauspielerinnen, die auch im Kino in der Luft zaubern. Nach ihren ersten Nebenrollen im Theater,in sehr jungen Jahren, bekam sie sehr schnell die Hauptrollen übertragen. Der Übergang zum Kino war fließend. Nachdem sie in mehreren Filmen mitgespielt hatte, trat sie 1974 mit einer Rolle vor das Publikum, die sowohl den Verlauf sowohl ihrer Karriere, als auch die der anderen Schauspielerinnen veränderte: Bedrana. Geschrieben vom Meisterautor Vedat Türkali und unter der Regie von Süreyya Duru, handelt dieser Film vom unglücklichen Schicksal einer anatolischen Frau, die in den 70er Jahren lebte. In einer Zeit, die von feudalen Strukturen geprägt war und sich die patriarchalische Kultur Tag für Tag reproduzierte, ist es eine weibliche Figur, die dem Film ihren Namen gab. Das war ein Ereignis für sich, dass ein Frauenname Titel des Films ist. In der Welt dieser weiblichen Figur, auf der die Geschichte aufbaut, werden Männer als Nebenelemente dargestellt. Inspiriert von Marx: Es wird die Geschichte der Frau erzählt!

Ein weiteres Detail, das heute wie eine Kleinigkeit wirkt, hatte in der Kinoindustrie eine Sprengkraft. Damals wurde auf den Plakaten immer der Name des männlichen Darstellers vor dem der weiblichen Darstellerin geschrieben. Die 70er Jahre waren eine Zeit, in der Heldengeschichten über Männer erzählt und Frauen als Nebendarstellerinnen präsentiert wurden, egal ob auf dem Land oder in der Stadt. Aber im Film Bedrana, steht der Name von Perihan Savaş vor dem des männlichen Schauspielers. Das sollte das Ende einer Ära signalisieren. Bis zur Zweiten Welle des Feminismus dauerte es noch ein Jahrzehnt. Mit Bedrana jedoch, wurde das Thema der Frauen in der Türkei durch das Kino sichtbar. Die seit Jahren missachtete weibliche Identität begann sich zu behaupten.

Perihan Savaş brachte mit ihrem Auftritt in diesem Film die Schauspielerinnen und Schauspieler des türkischen Kinos auf die internationale Bühne. Denn für ihre Rolle in dem Film gewann sie 1974 den CIDALC-Preis beim Internationalen Karlovy Vary Film Festival. Bis zu diesem Datum wurde kein türkischer Schauspieler oder Schauspielerin bei einem internationalen Festival als preiswürdig erachtet. Mit diesem Film machte Savaş nicht nur eine Frau aus Anatolien sichtbar , sondern ebnete den Weg für weitere türkische Schauspielerinnen. Im selben Jahr beginnt mit dem Preis für die Beste Schauspielerin auf dem so bedeutenden Antalya Golden Orange Film Festival in der Karriere von Perihan Savaş eine neue Ära.

Neben dem Aspekt, dass sich die Karriere von Perihan Savaş nach Bedrana sehr positiv entwickelt hat, sollten zwei weitere Punkte beachtet werden. Erstens wurde dieser Film 1979 im ZDF gezeigt, was große Auswirkungen hatte. Es ist offensichtlich, dass Tausende von Frauen, die aus ihren türkischen Dörfern und Städten nach Deutschland kamen, sich in ihrer gesellschaftlichen Isolation mit Bedrana identifizierten. Mit der Rolle von Savaş in Bedrana schöpften sie Mut und Willenskraft für Veränderungen. Der Erfolg von Savaş fühte auch zur Veränderung der türkischen Kinotradition, die bestimmte, welche Frauen zu Stars wurden. Die meisten Starschauspielerinnen, die in den 70er Jahren Hauptrollen spielten, kamen nicht vom Theater. Aber Perihan Savaş hat ihre schauspielerischen Kenntnisse im Gegensatz zu den anderen am Theater erworben. Sie unterscheidet sich von anderen Stars dieser Zeit, da sie seit ihrer Kindheit über Schauspielstile nachdachte und ihre Schauspielkunst ständig optimierte.

Ab diesem Zeitpunkt  treibt Savaş ihre Filmkarriere durch zwei unterschiedliche Schauspielstile voran. Wie die Stars der damaligen Zeit hält sie sich nicht an ein einziges Genre. Sie spielt sowohl im Drama als auch in der Komödie… Sie geht immer Risiken ein, versucht, ihr Schauspielverständnis zu verändern und sich selbst auf den neuesten Stand zu bringen. Während sie mit ihrem Schauspiel in sozialkritischen Filmen wie Esir Hayat (Versklavtes Leben, 1974 – Lütfi Akad), Kaşık Düşmanı (Mitesser, 1984 – Bilge Olgaç) und Karılar Koğuşu (Zelle der Weiber, 1989 – Halit Refiğ) vor den Cineasten auftrat, konnte sie das Publikum  genauso erfolgreich in Kommödien zum Lachen bringen, 5 Milyoncuk Borç Verir Misin? (Borgst du mir fünf millionchen, 1975 - Osman Fahir Seden) oder Sosyete Şaban (Highsociety Şaban, 1985 - Kartal Tibet).

Savaş setzt sich in einem weiten Spektrum sowohl mit dem urbanen als auch mit dem dörflichen Frauencharakter auseinander. Sie zeigt die berufstätige Frau, die starke Frau, die sich dem Alleinleben und der männerdominierten Gesellschaft widersetzt und gleichzeitig mit festen Beinen auf dem Boden steht. Auch wenn sich die Story des Films manchmal um einen anderen Charakter dreht, sticht sie immer wieder durch ihre eigene klare und einfache Schauspielkunst heraus. Sie verinnerlicht meisterhaft den Übergang von Worten zu Emotionen, die sie von klein auf gelernt hat, und nimmt einen neuen Charakter sehr schnell an. Sie wirkt immer authentisch, egal ob sie in Dramen oder Komödien spielt.

Als in den 80er Jahren immer mehr Menschen aus den dörflichen Gegenden in die Städte zogen, konzentrierte sie sich auch auf Filme des urbanen Lebens. Sie porträtiert die Charaktere, die sie mit dem Publikum identifiziert, indem sie die Grenzen der zugewiesenen Rolle der modernen Frau erweitert und ihnen eine neue Integrität verleiht. Diese Interpretation in Form der Schauspielerei führt sie auch dazu, in den 2000er Jahren in Fernsehserien aufzutreten und die neue Generation kennenzulernen. Sie arbeitet mit Regisseuren wie Onur Ünlü und Özgür Kapak zusammen, deren TV-Serien heute Millionen von Zuschauern verfolgen. Sie zögert nicht, ihr Wissen und ihre Erfahrungen zu teilen und gilt als Vorbild für türkische Filmszene. Auch die neue Generation ist von ihrer einzigartigen Magie und ihrem sogenannten „Duende“, wie Federico García Lorca es ausdrückte, tief beeindruckt.

Soner Sert
Regisseur
Februar 2022, Istanbul